Vitamin-D-Mangel weit verbreitet oder nicht?

Immer wieder liest man: Einen Vitamin-D-Mangel gibt es kaum. Viele behaupten: Vitamin-D-Präparate sind unnötig. Wie sehen wir Mikronährstoffmediziner das?

Frau steht in der Natur im Sonnenschein
Die Sonnentage werden weniger und der Herbst steht vor der Tür. Bald reicht die Sonnenstrahlung nicht mehr aus, damit der Körper Vitamin D bilden kann. Neben dem Knochenstoffwechsel erfüllt Vitamin D eine Vielzahl an weiteren Funktionen. Bild: evgenyatamanenko/iStock/Thinkstock

Wie sieht die Vitamin-D-Versorgung in Deutschland wirklich aus?

Die Sonnentage werden weniger und der Herbst steht vor der Tür. Bald reicht die Sonnenstrahlung nicht mehr aus, damit der Körper Vitamin D bilden kann: Die Blutwerte sinken allmählich. Aber immer wieder lesen wir, dass in Deutschland kein Vitamin-D-Mangel herrscht und Vitaminpräparate nicht nötig seien – so ist zum Beispiel auch die Meinung von Stiftung Warentest.

Zudem wird die Wirkung von Vitamin D immer wieder in Frage gestellt. Zwar ist der Effekt auf den Knochenstoffwechsel eine „olle Kamelle“ und schon seit Jahrzehnten bekannt, was auch die Presse bestätigt. In vielen Artikeln steht allerdings, dass ein weiterer gesundheitlicher Nutzen von Vitamin D nicht bewiesen sei. Die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten würde nicht zur Vorbeugung von Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes beitragen. Aber wie so oft fallen dabei die bereits Erkrankten unter den Tisch.

Mehrere Studien bestätigen die Mangelversorgung in Deutschland

Die Vitamin-D-Zufuhr über die Nahrung ist nicht ausreichend: Wir nehmen nur etwa 80 bis 160 Internationale Einheiten (zwei bis vier Mikrogramm) am Tag über Lebensmittel auf. Der Körper ist also auf die eigene Vitamin-D-Produktion in der Haut durch Sonnenstrahlung angewiesen. Das klingt nicht weiter problematisch – doch was sagen die Blutwerte der Menschen in Deutschland?

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Das Problem mit den Vitamin-D-Werten: Es gibt derzeit keine allgemeingültige Definition, ab welchen Werten ein Mangel diagnostiziert wird. Die meisten Wissenschaftler und Experten sprechen bei unter 20 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) von einem Mangel – aber diesen Wert benutzen nicht alle! Wenn man also „Es gibt keinen Vitamin-D-Mangel“ liest, muss man immer darauf achten, auf welcher Definition von „Mangel“ diese Aussage beruht.

Folgende drei große Studien aus den Jahren 2010, 2014 und 2015 eignen sich zur Abschätzung der Versorgung: 

  1. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1) vom Robert-Koch-Institut: 62 Prozent der knapp 7.000 Teilnehmer waren nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt (unter 20 ng/ml) und 30 Prozent hatten einen schweren Vitamin-D-Mangel (unter 12 ng/ml). Auch während des Sommers erreichte nur die Hälfte der Teilnehmer ausreichende Vitamin-D-Werte von über 20 ng/ml.
  2. Studie aus Norddeutschland: In den Monaten Januar bis April hatten 30 Prozent einen schweren Vitamin-D-Mangel (unter 11 ng/ml). 80 Prozent waren schlecht mit Vitamin D versorgt (unter 30ng/ml). Für diese Studie wurden Blutproben von über 99.000 Menschen aus Norddeutschland ausgewertet.
  3. Studie zum Vitamin-D-Status in der Bevölkerung in Deutschland (DEVID-Studie): 74 Prozent der 1.340 Probanden lagen mit ihren Blutwerten zum Ende der Winterzeit (März bis Mai) im Mangelbereich unter 20 ng/ml und nur etwa acht Prozent hatten einen ausreichenden Vitamin-D-Status von über 30 ng/ml.

In Deutschland herrscht also sehr wohl bei vielen Menschen ein Vitamin-D-Mangel (unter 20 ng/ml) und das nicht nur im Winter. Wer letztendlich Klarheit über die eigene Vitamin-D-Versorgung haben möchte, sollte seinen Vitamin-D-Wert zweimal im Jahr kontrollieren lassen – am besten vor und nach dem Winter.

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Achtung bei den Maßeinheiten: Vitamin D im Blut kann entweder in ng/ml oder in Nanomol pro Liter (nmol/l) angegeben werden. Möchten Sie ng/ml in nmol/l umrechnen, müssen Sie den Wert mit 2,5 malnehmen.

Die Vitamin-D-Bildung in der Haut wird von vielen Faktoren beeinflusst

Der Körper kann Vitamin D selbst bilden und auch speichern, sodass er theoretisch das ganze Jahr über ausreichend versorgt ist. Aber dazu müssen die Vitamin-D-Speicher im Sommer gut gefüllt werden. Es gibt einige Faktoren, die die Vitamin-D-Bildung in der Haut beeinflussen:

  • Sonnenschutzmittel: Bereits ein Lichtschutzfaktor von 15 kann die körpereigene Vitamin-D-Bildung nahezu auf null herabsetzen. Sonnenschutzcremes verhindern, dass die für die Bildung benötigte UVB-Strahlung in die Haut eindringt. Wegen der Angst vor Hautkrebs geht heutzutage allerdings fast niemand mehr ohne Sonnenschutzmittel aus dem Haus.
  • Wohnort: Nördlich des 52. Breitengrades reicht die Sonnenstrahlung nur von April bis September, um Vitamin D zu bilden. Dazu gehören Orte, die nördlicher liegen als zum Beispiel Berlin, Braunschweig oder Hannover. In den übrigen Monaten Oktober bis März kommt die Sonne nicht in ausreichenden Mengen auf die Erde: Der Einfallwinkel ist zu flach.
  • UV-Index: Für eine gute Vitamin-D-Bildung ist ein UV-Index von mindestens 3 nötig. Der UV-Index ist ein Maß für die Bestrahlungsstärke und kann im Wetterbericht nachgesehen werden. Im Winter werden maximal Werte bis 3 erreicht – und das auch nur an den wenigen sonnigen Tagen.
  • Duschen nach dem Sonnenbad: Eine Grundlagenstudie zeigt, dass Vitamin D auf der Haut durch Wasser und Seife abgewaschen werden kann. Viele nehmen nach dem Sonnenbad eine erfrischende Dusche. So kann es möglich sein, dass das gerade gebildete Vitamin D durch den Ausguss wieder davonfließt. Allerdings ist nicht klar, in welchem Ausmaß: Vitamin D kann grundsätzlich auch in der Haut gebildet werden, sodass Wasser hier keinen Einfluss haben dürfte. Duschen Sie zur Sicherheit aber am besten erst einige Stunden nach dem Sonnenbad.

Wissenschaftler befürworten Anreicherung von Lebensmitteln

Aktuell diskutieren Wissenschaftler über die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin D, wie es in einigen anderen Ländern schon üblich ist. Zum Beispiel wird in den USA und Kanada Milch mit 400 Internationalen Einheiten (10 Mikrogramm) Vitamin D pro Liter angereichert. Auch in Finnland steckt in Milch zusätzlich Vitamin D. Seitdem hat in der finnischen Bevölkerung nahezu niemand mehr einen Vitamin-D-Mangel.

Die Wissenschaftler halten eine Anreicherung auch in Deutschland für sinnvoll und haben aktuell Empfehlungen dazu veröffentlicht. Es bleibt abzuwarten, ob sie aufgegriffen werden.

Was können wir zum Thema Vitamin D zusammenfassen?

Vitamin D ist derzeit eines der meistbeforschten Vitamine. In der Wissenschaftsdatenbank PubMed gibt es mehr als 77.000 Veröffentlichungen. Allein für 2018 sind es schon knapp 3.300 Artikel. Neben dem Knochenstoffwechsel erfüllt Vitamin D eine Vielzahl an weiteren Funktionen, wenn auch noch nicht alle ausreichend erforscht sind, um für alle Krankheiten allgemeingültige Empfehlungen treffen zu können.

Vitamin D ist keine Wunderwaffe und auch ein Zuviel ist keineswegs ungefährlich. Aber es lohnt sich bei den meisten Krankheiten im Rahmen der Mikronährstoffmedizin, nach den Vitamin-D-Werten zu schauen. Oft verbessern sich die Beschwerden und damit das Wohlbefinden, wenn der vorhandene Vitamin-D-Mangel ausgeglichen wird.

Verzeichnis der Studien und Quellen

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Cannell, J. J. et al. (2009): On the epidemiology of influenza: reply to Radonovich et al. Virol J. 2009; 6: 121.https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2729747, abgerufen am: 13.09.2018.

Glogowski, S. (2017): 13. DGE-Ernährungsbericht: Vitamin-D-Versorgung in Deutschland unzureichend. Ernährungs- Umschau 9/17, M485.https://www.ernaehrungs-umschau.de/print-news/13-09-2017-13-dge-ernaehrungsbericht-vitamin-d-versorgung-in-deutschland-unzureichend/, abgerufen am: 13.09.2018.

Gröber, U. &Holick, M. F. (2013): Vitamin D. Die Heilkraft des Sonnenvitamins. 2. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart

Kipshoven, C. (2010): Querschnittsstudie zur Abschätzung des Vitamin-D-Status in der Bevölkerung in Deutschland (DEVID-Studie). Diss. Köln, Univ., Diss. 2010. https://repository.publisso.de/resource/frl:3812173, abgerufen am: 13.09.2018.

Kramer, et al. (2014): Epidemiologische Untersuchung zur Häufigkeit eines Vitamin-D-Mangels in Norddeutschland. DtschmedWochenschr 2014; 139(10): 470-475. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0033-1360073, abgerufen am: 13.09.2018.

Pilz, S. et al. (2018): Rationale and Plan for Vitamin D Food Fortification: A Review and Guidance Paper. Front Endocrinol (Lausanne). 2018 Jul 17;9:373. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30065699, abgerufen am: 13.09.2018.

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Rabenberg. M &Mensink, G. B. M. (2016): Vitamin-D-Status in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2016:1(2). https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/2492/21fAtXX5uiKow.pdf, abgerufen am: 13.09.2018.

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Wacker, M. &Holick, M. F. (2013): Sunlight and Vitamin D. A global perspective for health. Dermatoendocrinol. 2013 Jan 1; 5(1): 51–108.https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3897598, abgerufen am: 13.09.2018.

Über den Autor

Dr. med. Rainer Spichalsky

Herr Dr. med. Spichalsky ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Neben der schulmedizinischen Ausbildung erwarb er weitere Fachqualifikationen als Arzt für Applied  Kinesiology, F.X. Mayer Arzt und manuelle Therapie. Zudem ist Herr Dr. med Spichalsky zertifizierter Anti-Aging-Arzt gemäß GSAAM und Orthomolekular-Therapeut. Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer einer ärztlichen Partnerschaftsgesellschaft ist der diplomierte Gesundheitsheitsökonom unter anderem auch Dozent für orthomolekulare Therapie.