Schlafhormon Melatonin gegen Prostatakrebs?

Wie Melatonintabletten die Behandlung von Prostatakrebs unterstützen könnten

Mann nimmt Melatonin ein
Melatonin ist mehr als ein Schlafmittel. Das Hormon könnte gegen Prostatakrebs helfen. Bild: Bild: iStock.com/Riska

Melatonin: Funktion geht über den Schlaf hinaus

Wenn es dunkel wird, stellt der Körper das Schlafhormon Melatonin her. Wir werden müde und möchten schlafen. Melatonin wirkt daher gegen Schlafstörungen.

Ursprünglich dachte man, das sei die einzige Aufgabe. Melatonin ist jedoch mehr als ein Schlafmittel. Es reduziert auch Schäden an der Erbsubstanz (DNA), aktiviert das Immunsystem, beeinflusst den Stoffwechsel und regt die Entfernung von Abfallstoffen aus dem Gewebe an (Autophagie und Apoptose). Daneben könnte Melatonin die Entwicklung und das Wachstum von Krebs bremsen. Krebsforscher untersuchen derzeit, ob es die Therapie bei Prostatakrebs unterstützen und die Heilungschancen verbessern könnte.

Melatoninmangel könnte Prostatakrebs begünstigen

Wenn Menschen nicht den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus beibehalten oder zur Schlafenszeit grellem Licht ausgesetzt sind, wird zu wenig Melatonin gebildet. Mit geringem Melatoninspiegel steigt jedoch die Häufigkeit für Prostatakrebs. Das ist bei Schichtarbeitern gezeigt worden. Der Zusammenhang war so stark, dass die Forscher anhand der Melatoninwerte sogar Prostatakrebs voraussagen konnten.

Man könnte dieses Wissen nutzen, um die bisherige sehr unzuverlässige Diagnose von Prostatakrebs mit dem PSA-Wert zu verbessern. PSA steht für das Prostata-spezifische Antigen. Es ist ein Eiweiß, das in der Prostata gebildet wird. Ein erhöhter PSA-Wert ist ein mögliches Anzeichen für Prostatakrebs. Mediziner könnten den Melatoninwert zusätzlich einsetzen, um die Vorhersage sicherer zu machen.

Melatonin: Wirkung auf Prostatakrebs?

Melatonin könnte gegen Prostatakrebs helfen. Zahlreiche Laborversuche geben Hinweise auf einen günstigen Effekt bei der Krebsbehandlung.

Bei Prostatakrebs entgleist die hormonelle Regulation. Männliche Hormone (Androgene) führen zu einer starken Zellteilung in der Prostata und später zu Krebs. Dies wird durch Hormonentzug oder Antihormone (Antiandrogene) behandelt. Melatonin könnte diese Therapie verbessern: Bei Tieren wirkte beides zusammen besser als der Hormonentzug durch eine Kastration allein. Melatonin regulierte im Laborversuch außerdem die Wirkung von Testosteron. Es half auch dann noch, wenn die Krebszellen im späteren Verlauf resistent werden und nicht mehr auf den Hormonentzug ansprechen.

Im Labor förderte Melatonin den „natürlichen“ Zelltod entarteter Zellen. Daneben bremste es die ungeregelte Zellteilung und unterdrückte bei Tieren die Bildung von Metastasen. Außerdem könnte Melatonin die Wirkung einiger Chemotherapie-Wirkstoffe verbessern. Das lassen Ergebnisse aus Tierversuchen erahnen. Möglich ist auch, dass es die Nebenwirkung der Chemotherapie mildert und das Wohlbefinden verbessert. Darauf deuten erste Studien hin.

In der Summe kann Melatonin in viele Prozesse bei Krebs eingreifen. Daher lohnt es sich, die Wirkung genauer zu untersuchen sowie die Frage zu stellen, ob man mit Melatonin als Ergänzung zur klassischen Therapie Prostatakrebs behandeln kann. In einer ersten kleinen Studie verlängerte Melatonin das Überleben von Betroffenen. Bevor es aber Teil der regulären Behandlung werden kann, müssen hochwertige Studien folgen.

Melatonin einnehmen: Das gibt es zu beachten

Die Aussichten, dass Melatonin die Heilungschancen bei Prostatakrebs verbessert, sind vielversprechend. Die Einnahme sollte jedoch mit dem Arzt oder Mikronährstoff-Experten abgesprochen sein. Für eine allgemeine Empfehlung fehlen noch hochwertige Studien.

In ersten Studien bekamen die Betroffenen mit verschiedenen Krebsarten Melatonintabletten mit 3 oder, hoch dosiert, mit bis zu 20 Milligramm. Die Behandlung erfolgte während oder nach der Chemo- beziehungsweise Strahlentherapie für zwei bis sechs Monate. Für eine Melatonin-Daueranwendung oder zur Krebsvorbeugung gibt es keine Daten. Wichtig ist weiterhin, dass man an der Prostatavorsorge teilnimmt. Bei Prostatakrebs-Symptomen – wie Harndrang und Schwierigkeiten beim Urinieren, schmerzhafter Ejakulation und Blut im Ejakulat – sollte man umgehend die Prostata untersuchen lassen.

Melatonin wird zum Einschlafen eingenommen, etwa eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen. Wird es auf leeren Magen nicht gut vertragen, kann man eine Kleinigkeit dazu essen. Da Melatonin müde und schläfrig macht, darf es nicht vor dem Autofahren oder dem Bedienen von Maschinen genommen werden. Melatonin-Nebenwirkungen sind eher selten. Müdigkeit, Schwindel oder Benommenheit könnten aber auftreten – in anderen Fällen auch Gereiztheit, Schlaflosigkeit oder Kopfschmerzen. Wechselwirkungen und Gegenanzeigen von Melatonin finden sie hier.

Verzeichnis der Studien und Quellen

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Über die Autorin

Dr. med. Annette Balz-Fritz

Frau Dr. med Balz-Fritz ist niedergelassene Ärztin mit dem Schwerpunkt Urologie, Proktologie, Ernährungs- und Präventionsmedizin in einer urologischen Gemeinschaftspraxis. Sie erwarb im Februar 2001 die Zusatzqualifikation zur Ernährungsmedizinerin in DAEM/DGEM und qualifizierte sich zum Männerarzt (CMI Institut). Frau Dr. med. Balz-Fritz ist Mitglied bei der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM), bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin und beim Berufsverband Deutscher Ernährungsmediziner.  Wenn ihre Arbeit in der gemeinsamen  Praxis und das Familienleben ihr noch Zeit lassen, treibt sie gerne Sport und ist eine begeisterte Köchin.