Medikamente im Alter – Gefahr einer Mangelernährung

Warum vor allem die gleichzeitige Einnahme mehrerer Arzneimittel die Versorgung mit Vitaminen und Co. verschlechtern kann

Ältere Frau nimmt Medikamente ein
Viele Ältere sind von einer Multimedikation betroffen. Die Medikamente können wechselwirken und in den Mikronährstoffhaushalt eingreifen. Bild: Stock.com/puhimec 

Mangelernährung: Risikofaktor Alter

Ein hohes Alter ist Risikofaktor für eine Mangelernährung. Nicht nur Zahnprobleme, Schmeck- und Riechstörungen beeinträchtigen die Lust am Essen, die Gebrechlichkeit erschwert auch Einkaufen und Kochen. Hinzu kommt die Einnahme zahlreicher Medikamente gegen (Alters-)Erkrankungen, die den Darm belasten und die Aufnahme von Mikronährstoffen beeinträchtigen.

In der medizinischen Praxis bekam dieser Punkt bisher zu wenig Aufmerksamkeit, doch nun liegen zahlreiche neue Daten vor. Mit diesem Wissen lassen sich Mangelzustände gezielt behandeln und langfristige Folgeschäden vermeiden.

Medikamentenbedarf im Alter und die Folgen

Im Alter ist die Einnahme vieler Medikamente der Normalfall. Man spricht dann von einer Multimedikation. Etwa jeder Dritte über 65 Jahre in Deutschland nimmt täglich mindestens vier Medikamente ein – jeder Vierte sogar täglich fünf oder mehr. Ab 75 Jahren nimmt jeder Dritte acht (!) Medikamente oder mehr ein. Das zeigen Arzneimittelreporte der gesetzlichen Krankenkassen. Und dabei sind nur rezeptpflichtige Medikamente berücksichtigt. Es dürften noch frei verkäufliche Medikamente hinzukommen.

Multimedikation hat oft ernste Folgen: Die vielen Medikamente können wechselwirken und darüber hinaus die Schleimhaut im Magen und Darm schädigen. Zu häufigen Nebenwirkungen zählen daher Magen-Darm-Beschwerden mit Übelkeit, Erbrechen, Blähungen und Durchfall sowie Bauchschmerzen. Meist leidet auch die Darmflora darunter, was sich wiederum ungünstig auf die Verdauung oder die Dichtigkeit des Darms auswirkt: Das führt unbemerkt zu einer allgemeinen Mangelversorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen. Aber das ist nicht das einzige Problem. Einige Medikamente greifen sogar direkt in den Stoffwechsel bestimmter Mikronährstoffe ein.

Problem: Wechselwirkungen mit Mikronährstoffen

Medikamente verschlechtern manchmal den Mikronährstoffhaushalt. Beide nutzen im Körper dieselben Stoffwechselwege – zum Beispiel bei Aufnahme oder Ausscheidung. Hier sind einige Beispiele, auf welche Weise Medikamente die Versorgung mit Mikronährstoffen beeinflussen:

  • Verminderte körpereigene Bildung: Cholesterinsenker (Statine) beeinträchtigen beispielsweise die Bildung von Coenzym Q10 und Vitamin K2. Das könnte in der Folge Muskelschmerzen verursachen beziehungsweise das Risiko für Osteoporose und Arteriosklerose erhöhen.
  • Vermehrte Ausscheidung: Entwässernde Medikamente (Diuretika) schwemmen Mineralstoffe wie Kalium, Magnesium und Zink über die Nieren aus. Die Blutdruckregulation kann dadurch gestört werden und es kann zu Folgeschäden kommen.
  • Vermehrter Verbrauch: Schmerzmittel wie Paracetamol müssen beim Abbau vom Körper entgiftet werden. Dabei wird vermehrt Glutathion verbraucht, sodass es nicht mehr ausreichend zum Schutz vor oxidativem Stress zur Verfügung steht.
  • Störung des Stoffwechsels: Antiepileptika inaktivieren mitunter Vitamin D. Das Vitamin wird für die Mineralisierung der Knochen benötigt, sodass Störungen des Knochenstoffwechsels folgen können.
  • Störung der Aufnahme und Verwertung: Säureblocker bewirken eine Veränderung des pH-Wertes im Magen – der Magensaft ist dann weniger sauer. Das beeinträchtigt die Freisetzung vieler Mikronährstoffe aus der Nahrung. Betroffen sind unter anderem Zink, Eisen und Vitamin B12. Eine geschädigte Schleimhaut nimmt außerdem die Mikronährstoffe schlechter auf. Es folgt häufig ein Vitamin-B12-Mangel, der wiederum das Risiko für Erkrankungen wie Demenz, Osteoporose oder Schlaganfall steigert.

Vitamintabletten: sinnvoll oder nicht?

Die Frage, ob Mikronährstoffpräparate sinnvoll sind, muss individuell betrachtet werden. Mikronährstoffpräparate sollten keinesfalls wahllos eingenommen werden, um den Körper nicht zusätzlich zum täglichen Medikamentencocktail zu überfordern. Hinzu kommt, dass nicht immer die Bereitschaft gegeben ist, neben der ohnehin gefüllten Pillendose weitere Tabletten oder Kapseln einzunehmen. Dennoch gilt es, den erhöhten Bedarf an Mikronährstoffen gezielt auszugleichen – vor allem dann, wenn die Ernährung nicht ausgewogen ist.

Nicht vergessen sollte man, dass man mit Mikronährstoffen außerdem die Medikamentenwirkung unterstützen kann. Einige Hersteller bieten bereits Mikronährstoffpräparate an, die in ihrer Zusammensetzung speziell auf die Einnahme eines Medikamentes zugeschnitten sind.

Zu beachten gilt: Es gibt auch Inhaltsstoffe (zum Beispiel sekundäre Pflanzenstoffe), die mit den Medikamenten interagieren und um die Aufnahme konkurrieren. Daher ist bei der Einnahme immer auf einen Einnahmeabstand zu dem Medikament zu achten. Am besten berät darüber der Arzt oder Mikronährstoff-Experte.-

Tipps bei Multimedikation: Mangelernährung erkennen

Wenn Sie als Betroffener oder Angehöriger ungewollten Gewichts- und Appetitverlust bemerken, sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt. Meist wird dies von einem Mikronährstoffmangel begleitet. Eine Beratung beim Arzt kann eine Mangelernährung frühzeitig stoppen.

Es ist wichtig, dass alle behandelnden Ärzte über die eingenommenen Medikamente und Mikronährstoffpräparate Bescheid wissen. Auch frei verkäufliche Mittel können mit Medikamenten wechselwirken. Im Zweifel sollte man mit einem Hausarzt oder Apotheker besprechen, ob der Therapieplan angepasst werden muss. Außerdem sollte man sich darüber informieren, wie und wann die Medikamente richtig eingenommen werden, um gegenseitige Wechselwirkungen zu umgehen.

Bei der langfristigen Einnahme von Medikamenten ist es zudem wichtig, regelmäßig den Mikronährstoffstatus kontrollieren zu lassen, um einen Mangel rechtzeitig zu erkennen. Welche Mikronährstoffe dies bei welchen Medikamenten besonders betrifft, können Sie in den jeweiligen Medikamenten-Artikeln nachlesen.

Verzeichnis der Studien und Quellen

Gröber U. et al (2020): Important drugmicronutrient interactions: A selection for clinical practice. Crit Rev Food Sci Nutr 2020; 60: 257–275. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30580552/, abgerufen am: 17.03.2023.

Gröber, U. (2022): Arzneimittel im Alter – das unterschätzte Risiko! In: Zeitschrift für Orthomolekulare Medizin 20 (04), S. 14–19. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1972-3965, abgerufen am: 17.03.2023.

Kok, W.E. et al. (2022): The association between polypharmacy and malnutrition(risk) in older people: A systematic review. Clin Nutr ESPEN. 2022;49:163-171. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35623807/, abgerufen am: 17.03.2023.

Über den Autor

Uwe Gröber

Uwe Gröber ist Leiter der Akademie für Mikronährstoffmedizin und zählt zu den führenden Mikronährstoffexperten Deutschlands mit seinen Spezialgebieten Pharmakologie, Mikronährstoffmedizin, Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Mikronährstoffen, Metabolic Tuning, Ernährungs-, Sport- und Präventivmedizin sowie komplementäre Verfahren in der Diabetologie und Onkologie (z.B. Tumoranämie). Er ist europaweit seit Jahren aktiv in der Aus- und Fortbildung von Ärzten, Apothekern und Ernährungswissenschaftlern tätig, unter anderem als Dozent an der Dresdner International University (DIU). Zudem ist er aktives Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie (PRIO) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG).