Zu einer Depression tragen meist mehrere Faktoren bei. Neben einer genetischen Veranlagung und belastenden Lebensumstände beziehungsweise traumatischen Ereignissen können auch körperliche Ursachen eine Rolle spielen. Dabei haben Forschende zunehmend einen Eisenmangel im Fokus.
Eisen zählt zu den wichtigsten Spurenelementen im menschlichen Körper, da es für die Blutbildung und damit für die Sauerstoffversorgung aller Körperzellen unerlässlich ist. Daneben ist Eisen für weitere Prozesse wichtig wie zum Beispiel für den Energiestoffwechsel von Zellen. Eisen ist auch für das Gehirn notwendig. So enthält die oberflächliche weiße Substanz, die Grenzschicht zwischen weißer und grauer Substanz im Gehirn, besonders viel Eisen, das zur Isolierung der Nervenfasern und damit zur Reiz-Weiterleitung nötig ist. Außerdem benötigt der Körper Eisen für die Herstellung von Botenstoffen des Gehirns – den Neurotransmittern wie Dopamin. Dopamin steigert unter anderem Antrieb und Motivation. Daher scheint die durch Eisen ermöglichte Dopamin-Produktion der Schlüssel zu sein, der einen Eisenmangel mit Depressionen verbindet.
Wochenbettdepressionen aufgrund von Blutarmut
In der Schwangerschaft steigt der Eisenbedarf an, da sich bei Schwangeren das Blutvolumen vermehrt und außerdem das Kind mitversorgt wird. Über die Muttermilch erhält auch der Säugling Eisen, so dass in der Stillzeit ebenfalls ein Mehrbedarf für die Mutter besteht. Deshalb haben viele schwangere Frauen nach der Entbindung einen Eisenmangel – besonders, wenn sie stillen.
Der Zusammenhang zwischen einer Wochenbettdepression und einem Eisenmangel ist schon länger bekannt. Wie eine Analyse mehrerer Studien im Jahr 2019 zeigte, erhöht eine Blutarmut (Anämie) während und nach der Schwangerschaft das Risiko einer Depression nach der Entbindung deutlich: Es war für Frauen mit Blutarmut beträchtlich höher als für Frauen ohne Blutarmut.
Info
Depressionen während der Schwangerschaft und Wochenbettdepressionen (Postpartum-Depression = PPD) sind eines der häufigsten Probleme bei Schwangeren. Zu den zahlreichen Ursachen zählen
- genetische Veranlagung
- bereits vorhandene psychische Erkrankungen
- psychologische und soziale Veränderungen durch Schwangerschaft und Mutterschaft
- physiologische und hormonelle Veränderungen (auch durch einen Eisenmangel verursacht)
- körperliche Beschwerden wie Müdigkeit (auch durch Eisenmangel), Übelkeit und Erbrechen
- Schmerzen während der Schwangerschaft
- Gesundheit des Fötus beziehungsweise Neugeborenen
- Art der Entbindung (auch negative Erfahrungen während der Entbindung)
Während der mit einem Hormonabfall zusammenhängende sogenannte Baby-Blues als kurzzeitige depressive Verstimmung direkt nach der Geburt auftritt, sind Wochenbettdepressionen komplexe depressive Erkrankungen, die bis zu einem Jahr nach der Geburt auftreten und lange anhalten können.
Eisenmangel begünstigt psychische Erkrankungen
Den Zusammenhang zwischen einem Eisenmangel (mit und ohne Blutarmut) und dem Auftreten einer Depression belegen verschiedene Studien. So zeigte eine taiwanesische Studie mit etwa 3.000 Teilnehmenden im Jahr 2013, dass für Patienten mit einer Eisenmangelanämie das Risiko erhöht ist, verschiedene psychiatrische Störungen zu entwickeln – unter anderem depressive Störungen.
2018 wurden dann zwei weitere Studien veröffentlicht:
In der ersten Studie aus Japan hatten Patienten, deren Eisenwerte bekannt waren, online einen Fragebogen ausgefüllt. Darunter waren 1000 Personen (davon 499 Frauen) mit einer selbstberichteten Depressionsgeschichte (Durchschnittsalter 41,4 Jahre); mehr als 10 800 Personen (davon 5185 Frauen) ohne selbstberichtete Depressionen dienten als Kontrollgruppe (Durchschnittsalter 45,1 Jahre). Die Studie war als Momentaufnahme angelegt – umfasste also nur eine einmalige Befragung. Zur Beurteilung der psychischen Belastung wurde eine sechsteilige Skala verwendet.
Das Ergebnis der webbasierten Befragung zeigte, dass in der Depressionsgruppe die Rate der selbstberichteten lebenslangen Eisenmangelanämie sowohl bei Männern (7,2 Prozent gegenüber der Kontrollgruppe mit 4,0 Prozent) als auch bei Frauen (33,4 Prozent gegenüber der Kontrollgruppe mit 25,8 Prozent) höher war.
Die zweite Studie verglich 100 depressive Patienten mit 100 gesunden Personen (insgesamt 65 Prozent Frauen). Dabei gab es einen deutlichen Unterschied zwischen den Hämoglobin(Hb)-Werten beider Gruppen. Hämoglobin ist der rote Blutfarbstoff.
Der mediane Hb-Wert lag bei den depressiven Patienten mit 11,9 niedriger als bei den gesunden Teilnehmern (Hb = 12,9). Insgesamt wiesen depressive Studienteilnehmer beträchtlich häufiger eine Blutarmut auf – nämlich zu 73 Prozent – als nicht-depressive Teilnehmende (nur 16 Prozent).
Zusätzlich zeigte sich, dass mit dem Grad des Eisenmangels auch die Symptomschwere der depressiven Störungen zunahm: Fälle von leichter Anämie waren mit leichter Depression verbunden und Fälle von mittelschwerer Anämie mit mittelschweren Depressionen.
Chronische Darmerkrankungen, Eisenmangel und Depressionen
2020 untersuchte eine Studie den Zusammenhang zwischen einem Eisenmangel und Depressionen bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Durch die in Folge der Erkrankung geschädigte Darmschleimhaut kann Eisen oft schlecht vom Darm ins Blut aufgenommen werden.
Das Ergebnis: 35 Prozent der Patienten wiesen einen Eisenmangel auf, 16 Prozent eine Blutarmut. Dabei litten CED-Patienten – mit 33 Prozent – häufiger unter Depressionen als die Allgemeinbevölkerung. Zwar kann auch die allgemeine Krankheitslast einer CED zu depressiven Störungen beitragen, aber in der Studie waren insbesondere Patienten mit einem Eisenmangel oder einer Blutarmut deutlich häufiger von Depressionen betroffen als CED-Patienten ohne Eisenmangel.
Eisenmangel bei Frauen verbreitet
Die häufigsten Ursachen für einen Eisenmangel sind eine ungenügende Zufuhr beispielsweise bei stark eingeschränkter oder einseitiger Ernährung, eine gestörte Aufnahme im Darm oder ein erhöhter Verlust von Eisen insbesondere durch Blutungen. Vor allem bei vegetarischer und veganer Ernährung kann es zu einer Unterversorgung kommen, da pflanzliches Eisen im Darm schlechter aufgenommen wird als Eisen aus tierischen Quellen (Hämeisen).
Frauen sind daher von einem Eisenmangel doppelt so häufig betroffen wie Männer, denn über ihre Regelblutung verlieren sie regelmäßig Blut. Außerdem essen die meisten Frauen weniger Fleisch als viele Männer. Insgesamt ist fast die Hälfte aller Frauen im gebärfähigen Alter mit Eisen unterversorgt.
Aber auch über den Schweiß geht Eisen verloren, so dass Sportler einen größeren Eisenbedarf haben. Zumal bei Sporttreibenden die Blutbildung zunimmt, um den gesteigerten Energie- und Sauerstoffumsatz zu decken. In Wachstumsphasen besteht ebenfalls ein erhöhter Eisenbedarf, so dass viele Kinder und Jugendliche eine Unterversorgung mit Eisen aufweisen.
Es gelingt nicht immer, einen Eisenmangel über die Ernährung zu beheben.
Expertenwissen
Laborwerte:
- Hämoglobin (Hb) = roter Blutfarbstoff
- Serum-Eisen = Eisen-Konzentration im Blut: Der Wert sinkt, wenn die Eisenspeicher leer sind.
- Serum-Transferrin = Konzentration von Eisen im Blut, das an das Transporteiweiß Transferrin gebunden ist.
Aus dem Verhältnis von Serumeisen zu Serumtransferrin lässt sich die Transferrin-Sättigung berechnen. - Serum-Ferritin = Konzentration von Eisen im Blut, das an das Speichereiweiß Ferritin gebunden ist: Der Wert gibt Hinweise auf den Zustand der Eisenspeicher im gesamten Körper.
Die Stadien des Eisenmangels
- Stadium 1: Negative Eisenbilanz
Die Eisenzufuhr ist nicht ausreichend (erhöhter Bedarf, zu geringer Verzehr, zu geringe Aufnahme aus dem Darm oder zu großer Verlust).
Damit der Körper weiterhin genügend roten Blutfarbstoff (Hämoglobin) bilden kann, greift er auf gespeichertes Eisen zurück. Dadurch leeren sich die Eisenspeicher. Das verursacht in der Regel noch keine Beschwerden.
-> Hb- und Serumeisen noch normal, Serumferritin sinkt. - Stadium 2: Eisenmangel ohne Blutarmut
Die Eisenspeicher sind leer, aber im Blut reicht die Menge an rotem Blutfarbstoff, um Sauerstoff in die Zellen zu transportieren. Da der Körper aber keinen neuen Blutfarbstoff mehr herstellen kann, ist die Bildung neuer roter Blutkörperchen gestört. Es können erste Symptome auftreten.
-> Serumeisen und Transferrinsättigung sinken. - Stadium 3: Eisenmangel mit Blutarmut = Eisenmangel-Anämie
Durch zu wenig roten Blutfarbstoff kann der Körper nur noch wenige rote Blutkörperchen bilden – eine Blutarmut (Anämie) ist die Folge. Da der Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, treten häufig Beschwerden auf. -> Hb-Wert sinkt, ebenfalls der Hämatokrit-Wert (Volumen der Blutzellen), da weniger rote Blutkörperchen gebildet werden. Transferrinsättigung und Serumferritin sehr gering.
Verzeichnis der Studien und Quellen
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