Antioxidantien – was ist wirklich dran an ihrer Wirkung?

Sind die Radikalfänger sinnlos oder bei Erkrankungen sogar nützlich?

Mann hat Präparate in der Hand
Antioxidantien stecken natürlicherweise hauptsächlich in Gemüse und Obst. Bild: baloon111/iStock/Getty Images Plus

Komplexe Zusammenhänge verdienen differenzierte Betrachtungen

Präparate mit Antioxidantien werden, wie Vitaminpräparate allgemein, in den Medien häufig pauschal als unnötig dargestellt. Dabei wird oft auch die Theorie infrage gestellt, dass freie Radikale Krankheiten begünstigen.

Tatsächlich weiß man heute, dass die Zusammenhänge zwischen Antioxidantien, oxidativem Stress und unserer Gesundheit sehr komplex sind. Bei Krankheiten können bestimmte Präparate durchaus die Beschwerden oder Krankheitsanzeichen verbessern. In der Mikronährstoffmedizin gilt daher das Prinzip „Messen – Wissen – Handeln“, um eine Unterversorgung aufzudecken und zu behandeln.

Was sind Antioxidantien und freie Radikale?

Freie Radikale entstehen im Körper einerseits durch äußere Faktoren wie Strahlung, Umweltverschmutzung und Schwermetalle. Andererseits fallen sie natürlicherweise bei vielen Stoffwechselprozessen an. Nehmen freie Radikale überhand, kommt es zu oxidativem Stress.

Oxidativer Stress schädigt die Zellen. Der Körper hat deshalb verschiedene Schutzsysteme. Neben körpereigenen Mechanismen gibt es Antioxidantien aus Lebensmitteln, etwa aus Vitaminen, Mineralstoffen und Pflanzenstoffen. Sie helfen dabei, freie Radikale direkt oder indirekt unschädlich zu machen.

Während man früher annahm, freie Radikale müssten immer beseitigt werden, gibt es heute zunehmend Hinweise, dass gewisse Mengen die körpereigenen Schutzsysteme „trainieren“. Dadurch werden die Zellen widerstandsfähiger. Manchmal ist oxidativer Stress sogar nützlich: Er hilft dem Körper aktiv, Infektionen oder entartete Zellen zu bekämpfen. Im Sport sind geringe Mengen oxidativer Stress vermutlich vorteilhaft für einen guten Trainingseffekt.

Problematisch wird oxidativer Stress, wenn er lange anhält. Dann bedingt er beispielsweise stille Entzündungen und könnte das Voranschreiten vieler Erkrankungen und deren Symptome sowie die Entstehung von Krebs fördern sowie den Alterungsprozess beschleunigen.

Metaanalyse sorgte für Schlagzeilen – und wird heftig kritisiert

Vor allem die wissenschaftlichen Arbeiten Goran Bjelakovic` und seiner Kollegen machten Schlagzeilen. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Antioxidantien – vor allem von Beta-Carotin, Vitamin A und E – sogar die Sterblichkeit erhöhen könnte. Dazu werteten sie in ihrer Metaanalyse 78 Einzelstudien neu aus.

Inzwischen wurde diese Arbeit von renommierten Medizinern wie Professor Jörg Hasford oder Professor Hans-Konrad Biesalski wegen methodischer Mängel stark kritisiert. Beispielsweise werteten Bjelakovic und Kollegen sehr unterschiedliche Dosierungen in den Einzelstudien gemeinsam aus. Die höchste Dosis war zehn, teils fünfhundert Mal so hoch wie die geringste Dosis. Es liegt auf der Hand, dass hoch dosierte Antioxidantien, die lange Zeit ergänzt werden, negative Wirkungen haben können – das zeigen auch andere Studien. Für eine aussagekräftige Auswertung wäre es wichtig gewesen, die Studien nach ähnlichen Dosierungen zu gruppieren.

Darüber hinaus unterschieden Bjelakovic und Kollegen nicht zwischen Gesunden und Kranken. Da Gesunde mit ausgewertet wurden, könnte der Effekt bei Krankheiten verzerrt worden sein. Dass Antioxidantien für Risikogruppen sowie kranke oder schlecht versorgte Menschen nützlich sein können, wurde mehrfach gezeigt – zum Beispiel für die Blutzuckerkontrolle, die Gefäßgesundheit und bei Bluthochdruck.

Auf die richtige Dosierung kommt es an – auch bei Antioxidantien

Das antioxidative Schutzsystem ist komplex. Bekannt ist momentan, dass eine gute Balance wichtig ist – und sowohl zu viele als auch zu wenige Antioxidantien ungünstig sind. Daher sind die Dosierungen der Präparate entscheidend. Werden Antioxidantien über längere Zeit willkürlich und zu hoch dosiert ergänzt, kann das wichtige Regulationsvorgänge im Körper stören. Dann steigt möglicherweise ebenfalls das Risiko für Erkrankungen.

Von der Natur abgeschaut: Die Mischung zählt

Es gibt sehr viele Antioxidantien, die unterschiedliche Schwerpunkte haben und sich ergänzen. Daher spielt auch die Zusammensetzung der Präparate eine Rolle. Nach derzeitigem Kenntnisstand sollte man sich mit möglichst vielen verschiedenen niedrig dosierten Antioxidantien versorgen – so wie sie auch natürlicherweise in Lebensmitteln vorkommen. Beispielsweise braucht der Körper immer Vitamin C, wenn er höher dosiertes Vitamin E bekommt: Vitamin C neutralisiert Vitamin E wieder, nachdem es freie Radikale abgefangen hat. Geschieht dies nicht, könnte „verbrauchtes“ Vitamin E die Zellen schädigen. Viele dieser Zusammenhänge sind jedoch noch nicht vollständig erforscht.

Damit Antioxidantien nicht nachteilig sind, müssen zudem Wechselwirkungen mit Medikamenten berücksichtigt werden. Zum Beispiel ist bei einer Krebstherapie oxidativer Stress manchmal gewünscht. Werden dann hoch dosierte Antioxidantien ergänzt, könnten sie die Krebsmedikamente abschwächen.

Reicht eine ausgewogene Ernährung?

Allgemein anerkannt ist, dass eine ausgewogene Ernährung die Gesundheit fördert. Zusätzliche Antioxidantien haben aber wahrscheinlich keinen Nutzen – so das Fazit einiger Forscher.

Tatsächlich scheint der Nutzen jedoch von den Umständen abzuhängen. Nicht immer ernähren sich Personen optimal. Kommen bestimmte Erkrankungen hinzu, kann der Bedarf an Antioxidantien zudem steigen, da sie „verbraucht“ werden. Dann können Präparate unterstützend eingesetzt werden: In einer Beobachtungsstudie schnitten täglich drei oder mehr Portionen Obst und Gemüse weniger gut ab als die Einnahme von Antioxidantien-Präparaten, um Diabetes zu vermeiden.

Was es bei der Einnahme von Kapseln mit Antioxidantien zu beachten gibt

Eine pflanzenreiche Ernährung ist immer die erste Wahl, wenn es um Antioxidantien geht. Pflanzliche Lebensmittel liefern darüber hinaus viele weitere gesundheitsförderliche Stoffe. Das ist wichtig, denn Antioxidantien allein verbessern nicht automatisch die Gesundheit.

Aber: Präparate mit Antioxidantien und anderen wichtigen Mikronährstoffen können einen unterstützenden Beitrag leisten, wenn man schlecht versorgt ist oder bereits unter einer Erkrankung leidet. Für Präparate gibt es folgende Empfehlungen:

  • Sie sollten die Ernährung bestmöglich „nachahmen“ – das heißt, eine breite Mischung verschiedener niedrig dosierter Antioxidantien enthalten.
  • Zudem ist bei einigen Vitaminen wichtig, dass sie möglichst in allen natürlichen Varianten vorliegen – zum Beispiel bei Vitamin E alle acht Tocopherole und Tocotrienole und nicht nur preiswertes Alpha-Tocopherol.
  • Höher dosierte isolierte Stoffe darf man nur bei einem bestimmten Grund und eine gewisse Zeit nehmen, etwa bei einem Mangel oder zur Besserung der Symptome einer Erkrankung. Bei längerer Einnahme ist eine Laborkontrolle ratsam. Hier berät am besten ein Arzt oder Mikronährstoff-Experte.

Verzeichnis der Studien und Quellen

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Über den Autor

Niels Schulz-Ruhtenberg

Nils Schulz-Ruhtenberg ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin und Sportmedizin.  Nach dem Medizinstudium in Göttingen, Hamburg und Südafrika spezialisierte er sich auf Präventivmedizin, Ernährungsmedizin und Sportmedizin. In seiner Hamburger Arztpraxis bietet er seit 2001 modernste medizinische Diagnostik und Therapie an in Sachen Ernährung, Mikronährstoffe, Gewichtsreduktion, funktionelle Medizin und Leistungsoptimierung im Job und Sport an. Schwerpunkte sind die Vermeidung und Linderung von lebensstilbedingten Erkrankungen durch ein effektives Gesundheits- und Selbstmanagement. Im Mittelpunkt stehen dabei oft die Verbesserung der Stresstoleranz sowie die Steigerung der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit durch natürliche nebenwirkungsfreie Methoden, z. B. durch eine optimale Nährstoffversorgung.