Helfen Probiotika bei Reizblase?

Neue Studien: Forscher vermuten einen Zusammenhang zwischen der Darmflora und einer Blasenschwäche

Frau hält sich die Hände vor den Schritt
Charakteristisch für eine Reizblase ist der plötzlich einsetzende Harndrang - selbst bei fast leerer Blase. Insbesondere Frauen sind betroffen. Bild: iStock.com/Biserka Stojanovic

Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko eine Reizblase (Blasenschwäche) zu entwickeln. Grund hierfür ist eine angespannte und überaktive Blasenmuskulatur. Bereits bei geringen Urinmengen in der Blase verspüren Betroffene einen plötzlichen und starken Harndrang. Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt.

Aktuelle Behandlungsansätze stützen sich vor allem auf Beckenbodentraining und Medikamente. Auch die Einnahme von Mikronährstoffen kann zur Entspannung der Blasenmuskulatur beitragen und die Symptome lindern.

Ein neuer und interessanter Ansatz neben den bekannten Mikronährstoffen könnten Probiotika sein. Hierbei handelt es sich um Präparate mit gesundheitsförderlichen Darmbakterien. Zwar wurde in Studien die Einnahme von Probiotika bei Blasenschwäche noch nicht ausreichend untersucht. Jedoch weisen die Ergebnisse aktueller Beobachtungsstudien darauf hin, dass ein Ungleichgewicht der Bakterienzusammensetzung im Darm zur Entstehung einer Reizblase beitragen könnte. Mehr noch: Forscher vermuten einen Zusammenhang zwischen den Bakterien in unserem Darm, unserer Harnblase und einer Reizblase.

Reizblase: Verminderung der bakteriellen Vielfalt im Darm

Probanden mit Blasenschwäche haben eine verminderte Vielfalt an Bakterien im Darm. Dies deutet auf ein Ungleichgewicht der Darmflora hin (Dysbiose). Eine hohe bakterielle Vielfalt gilt hingegen als gesundheitsfördernd.

Gleichzeitig gibt es Gemeinsamkeiten bei den Bakterienarten zwischen Probanden mit Reizblase. Diese können einen Einfluss auf die Gesundheit haben.

In einer aktuellen Studie konnten Forscher bei Probanden mit Reizblase folgendes feststellen: Die Anzahl an Bifidobakterien im Darm war vermindert. Bifidobakterien sind in den meisten Probiotika enthalten und für ihre gesundheitsfördernde Wirkung bekannt. Sie spielen unter anderem eine wichtige Rolle für die Darmgesundheit.

Ein Rückgang der Bifidobakterien könnte demnach mit dem Auftreten einer Reizblase zusammenhängen. 

Beeinflussen Darmbakterien die Reizblasen-Symptome?

Ein Ungleichgewicht der Bakterien im Darm könnte neben dem Auftreten auch das Fortschreiten einer Reizblase begünstigen. Eine Verstärkung des plötzlichen Harndrangs wird beispielsweise mit einem hohen Anteil an Streptokokken im Darm in Verbindung gebracht. Streptokokken sind typische Krankheitserreger.

Als zugrundliegender Mechanismus wird folgendes diskutiert:

  • Darm und Blase sind über Nervenbahnen verbunden.
  • Die Darmflora stellt Botenstoffe her, welche Nervenimpulse beeinflussen.
  • Liegt ein Ungleichgewicht vor, beeinflussen diese Botenstoffe über die Nerven die Blasenmuskulatur.
  • Eine Überaktivität des Blasenmuskels könnte die Folge sein.
  • Zieht sich die Blasenmuskulatur zusammen, entsteht plötzlicher Harndrang.

Expertenwissen

Bei Patienten mit Reizdarmsyndrom liegt häufig eine Reizblase vor. Zu den Ursachen eines Reizdarmsyndroms zählen unter anderem eine Darmdysbiose und eine Überempfindlichkeit des Darmnervensystmes. Ein Einfluss des Darmmikrobioms auf das Urobiom und die Funktion der Blasenmuskulatur ist somit denkbar.

Psychischer Stress verändert die Darmflora

Blasenschwäche führt häufig zu einer erheblichen Einschränkung in der Lebensqualität. Nicht selten wirkt sich dies auf die Psyche aus – Betroffene empfinden mehr Stress und haben eine größere Neigung zur Depression.

Es ist bekannt, dass psychischer Stress die Zusammensetzung der Darmflora stört. Hierfür machen Forscher die Darm-Hirn-Achse verantwortlich. Stressreaktionen im Gehirn führen zur Freisetzung bestimmter Botenstoffe. Diese beeinflussen verschiedene Darmfunktionen, die für die Aufrechterhaltung eines gesunden Darmmilieus wichtig sind. Die Folge: Eine stressbedingte Fehlregulation der Darm-Hirn-Achse kann das Darmmilieu stören. Dieser Teufelskreis dürfte die Beschwerden verstärken.

Fazit: Darmflora-Störung vorbeugen und Reizblase lindern

Bei Personen mit Reizblase ist wahrscheinlich die bakterielle Vielfalt der Darmflora vermindert. Diese Darmflora-Störung könnte die Entstehung einer Reizblase sowie das Fortschreiten der Symptome begünstigen.

Probiotika können einer Darmflora-Störung entgegenwirken und die bakterielle Vielfalt steigern. Dabei haben sie über den Darm wahrscheinlich auch einen Einfluss auf das Milieu in der Blase. Somit kommen Probiotika als vielversprechende Ergänzung zu herkömmlichen Behandlungsansätzen bei Reizblase in Frage. Experten gehen von einer präventiven als auch therapeutischen Wirkung aus.

Bisher gibt es jedoch nur wenige Untersuchungen zum Thema Darmflora und Reizblase. Daher können noch keine einheitlichen Empfehlungen gemacht werden, welche Bakterienarten nützlich sind. Bei anderen Erkrankungen hat sich aber die Einnahme eines Präparates mit mehreren Bakterienarten (Multispezies-Präparat) als günstig erwiesen. Bei Harnwegsinfekten empfehlen Mikronährstoff-Experten Probiotika mit 10 bis 20 Milliarden (10 bis 20 x 109) koloniebildende Einheiten (KBE) zur Einnahme oder für Frauen 100 Millionen (1 x 108) KBE Laktobazillen zur vaginalen Anwendung.

Verzeichnis der Studien und Quellen

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Über die Autorin

Dr. med. Annette Balz-Fritz

Frau Dr. med Balz-Fritz ist niedergelassene Ärztin mit dem Schwerpunkt Urologie, Proktologie, Ernährungs- und Präventionsmedizin in einer urologischen Gemeinschaftspraxis. Sie erwarb im Februar 2001 die Zusatzqualifikation zur Ernährungsmedizinerin in DAEM/DGEM und qualifizierte sich zum Männerarzt (CMI Institut). Frau Dr. med. Balz-Fritz ist Mitglied bei der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM), bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin und beim Berufsverband Deutscher Ernährungsmediziner.  Wenn ihre Arbeit in der gemeinsamen  Praxis und das Familienleben ihr noch Zeit lassen, treibt sie gerne Sport und ist eine begeisterte Köchin.