Probiotika als natürliche Schmerzmittel?

Das Schmerzempfinden könnte mit der Darmflora zusammenhängen – helfen gesundheitsförderliche Bakterien?

Mann hält seinen Bauch vor Schmerzen
Die Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst Bauchschmerzen und möglicherweise auch andere Schmerzarten. Bild: kirisa99/iStock/Getty Images Plus

Nützliche Bakterien steigern Gesundheit und Wohlbefinden

Unser Darm beheimatet natürlicherweise unzählige Bakterienarten. In den letzten Jahren ist das Wissen, wie sehr die Darmflora die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinflusst, rasant gewachsen. Mittlerweile werden Darmbakterien sogar als Therapiemöglichkeit bei Krankheiten erforscht. Man kann sie als Probiotika ergänzen. Dies sind Präparate mit gesundheitsförderlichen Bakterien. Die Bakterien sollen lebend im Darm ankommen und eine gesunde Darmflora fördern.

Bereits bekannt ist, dass die Darmflora mit Magen-Darm-Erkrankungen und Bauchschmerzen zusammenhängt. Neuere Studienergebnisse deuten darauf hin, dass auch Schmerzerkrankungen auf Probiotika ansprechen könnten – zum Beispiel entzündliche Schmerzen der Gelenke und Kopfschmerzen.

Enger Austausch zwischen Darmflora und Nervensystem

Forscher haben in einer ersten Studie beobachtet, dass bestimmte Bakterien im Darm mit dem Schmerzempfinden verbunden sind: Frauen mit vielen Bakterien der Gattung Prevotella und Megasphaera scheinen schmerzempfindlicher zu sein.

Die Bakterien im Darm können mit dem Nervensystem „kommunizieren“: Zahlreiche Signalmoleküle und Botenstoffe, die von ihnen gebildet werden, regulieren die Empfindlichkeit der Nervenzellen auf Reize. Dies könnte vor allem bei chronischen Schmerzen von Bedeutung sein, denn hier reagieren die Nerven sensibler.

Bei einer Störung der Darmflora wird der Darm durchlässiger (Leaky-Gut-Syndrom): Bakterien und nicht erwünschte Stoffe aus dem Darm gelangen ins Blut. Dabei werden viele entzündungsfördernde Botenstoffe gebildet, welche auch die Nervenfasern erreichen. Bei chronischen Schmerzen haben Forscher bereits andauernde Entzündungsprozesse an den Nervenzellen beobachtet. Entzündungen machen die Nerven empfindlicher für Schmerzen. Dagegen wirken Signalmoleküle, die bei einem günstigen Milieu im Darm entstehen, entzündungshemmend.

Lindern Probiotika Schmerzen?

Es gibt einige Tier- und Beobachtungsstudien zur Frage, ob Probiotika Schmerzen lindern. Diese liefern erste Hinweise. Um die Frage eindeutig zu beantworten, braucht man jedoch noch große und hochwertige Studien. Sie müssen zeigen, dass die Einnahme von Probiotika Schmerzen lindert. Wenige kleine Untersuchungen gibt es bereits:

  • Gelenkschmerzen: Probiotika könnten bei entzündlichen Gelenkschmerzen durch Rheuma oder Arthrose helfen. Bei Rheuma ist das Immunsystem fehlreguliert und greift den Knorpel an. Auch die Darmflora ist verändert. Ein entzündungslindernder Effekt von Probiotika wurde bei Rheuma bereits in einer kleinen hochwertigen Studie gezeigt.
  • Fibromyalgie: Eine veränderte Darmflora fanden Forscher auch bei der Schmerzerkrankung Fibromyalgie. Bisher konnten Probiotika hier jedoch nur andere Symptome der Erkrankung bessern – zum Beispiel die geistige Leistungsfähigkeit.
  • Kopfschmerzen: Hochwertige Studien haben gezeigt, dass Probiotika die Häufigkeit und Stärke von Migräneanfällen senken. Allerdings gibt es auch widersprüchliche Ergebnisse. Neben Probiotika sind bei Migräne wahrscheinlich Ballaststoffe sowie allgemein eine gesunde Lebensweise wichtig – beides Maßnahmen, welche die Darmflora unterstützen.
  • Endometriose: Bei Endometriose siedeln sich Zellen der Gebärmutterschleimhaut fälschlicherweise außerhalb der Gebärmutter an. Dies ist oft mit starken Schmerzen während der Periode verbunden. In einer hochwertigen Studie verringerte ein Probiotikum die Schmerzen im Vergleich zum Scheinmedikament. Ob Probiotika auch Menstruationsbeschwerdenbei Frauen, die nicht von Endometriose betroffen sind, lindern können, wird derzeit untersucht.
  • Rückenschmerzen: Weniger deutlich sprachen Schmerzen im Rücken an. Erst nach einem Jahr besserten sie sich etwas, wie eine hochwertige Studie zeigt. Rückenschmerzen sind meistens die Ursache von Muskelverspannungen und einseitiger Körperhaltung. Bei der Behandlung der Schmerzen muss dies daher immer mitbeachtet werden.

Fazit: Laktobazillen und Bifidobakterien bei chronischen Schmerzen

Erste Untersuchungen liefern Hinweise dazu, ob und wie Bakterien bei Schmerzen helfen können. Probiotika wirken wahrscheinlich nicht so stark wie Schmerzmedikamente. Sie könnten aber vor allem bei chronischen Schmerzen helfen, den Schmerzmittelbedarf zu senken. Zusammen mit schmerzlindernden Mikronährstoffen dürften sie die Schmerztherapie unterstützen. Wichtige Mikronährstoffe bei chronischen Schmerzen sind zum Beispiel Vitamin D, Magnesium und – vor allem bei entzündlichen Schmerzen – Omega-3-Fettsäuren.

Für einen gesundheitlichen Nutzen muss man Probiotika regelmäßig einnehmen. Setzt man sie ab, werden die nützlichen Bakterien allmählich wieder ausgeschieden. Noch können keine genauen Angaben zu den Bakterienarten und Dosierungen gemacht werden. Häufig wurden Laktobazillen und Bifidobakterien getestet. Nach momentanem Kenntnisstand sollte das Präparat ein breites Spektrum an verschiedenen Laktobazillen und Bifidobakterien enthalten. Damit genügend Bakterien lebend im Darm ankommen, sollte man täglich rund 10 Milliarden (10 x 109) koloniebildende Einheiten einnehmen.

Verzeichnis der Studien und Quellen

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Über den Autor

Dr. med. Siddhartha Popat

Herr Dr. med. Popat ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Akupunktur. Seit 2017 betreibt er zusätzlich eine private Zweigstelle mit den Schwerpunkten Integrative und Biologische Medizin. Weitere Schwerpunkte sind Neuraltherapie sowie Kinesiologie nach Klinghardt. Seit 2018  ist er erster Vorsitzender der IGAF e. V. (internationale Gesellschaft für autonome Funktionsdiagnostik und Regulationsmedizin). Die Diagnose und Therapie chronischer Erkrankungen ist ein wesentlicher Aspekt seiner Arbeit, hierbei ist die orthomolekulare Medizin ein wichtiger Aspekt.